Eine
Kurzgeschichte zum Thema »verspielt«, die eine Metapher enthalten
sollte. Ich verfasste sie auf dem Boden liegend und erfreute mich so
mancher Zweideutigkeit. Zumindest 14 Anspielungen auf den eigentlichen
Inhalt habe ich gefunden, wer findet sie alle oder gar mehr?
31. Januar 2014
virtuos
verspielt
An
den tosenden Applaus, unter dem die Aufführung begonnen hatte,
erinnerte sich weder das Publikum noch der Virtuose. Viel zu gefangen
waren sie alle von dem makellosen Spiel, das langgezogene, ruhige
Töne aneinander setzte, zwar vorhersehbar, doch beruhigend in dieser
Sicherheit. Niemand dachte auch nur daran, dass dieser Zustand des
körperlosen Schwebens jemals enden könnte – und dennoch gab es
diesen einen Augenblick, der nie wieder vergessen gemacht werden
konnte und das Stück in seiner Qualität maßgeblich veränderte:
Dem Virtuosen unterlief ein Fehler. Nur eine kleine Turbulenz zwar,
ein leichtes Zittern, doch er schlug ein wie ein Paukenschlag. Für
einen kurzen Moment stockte dem Publikum der Atem – was sollte nur
aus ihrer Welt werden, die sie sich im ewigen Einklang eingerichtet
hatten? Die klangvolle Ruhe war nun vorbei und voll Sorge richteten
sie ihr Ohr wieder dem Virtuosen zu. Noch hofften sie, er hätte sich
wieder gefangen – doch nein! Durch den Fehler aufgerüttelt
präsentierte er stolz sein verloren geglaubtes Können, nicht nur
vom Blatt zu spielen, sondern die Noten intuitiv in sein Instrument
zu schicken. Dies war sogar recht einfach, wenn man einem Satz von
Regeln folgte – das Ergebnis hingegen bezauberte durch seine nie
dagewesene Eleganz: die künstliche Sterilität war der
Natürlichkeit gewichen. Entzückt fanden einzelne Hände wieder
rhythmisch zueinander, andere wurden zu Augen geführt, um Tränen
der Freude wegzuwischen. Allen gemein war dabei ein körperweites
Gribbeln, das nach mehr verlangte. So schuf er neue Fehler, verband
sie mit den alten zu komplexen Signaturen, lies diese miteinander
interagieren und zu hellem Glanz erstrahlen. Jedem war offenbar, von
welcher Schönheit diese melodiösen Sonnen waren, denen der Schatten
zur Gänze ausgetrieben war – doch kaum jemand achtete auf die
kleinen Randstücke und Lückenfüller, welche die letzten Fehlerchen
beinhalteten, die noch als solche erkennbar waren. Es wäre dem
Virtuosen ein Leichtes gewesen, diese mit dem Zentralkomplex zu
verbinden oder völlig vergessen zu machen, allerdings suchte er
nach einer wirklichen Herausforderung, die er nun in einem gänzlich
unwirtlichen Stück Tonalität gefunden hatte. Das Publikum wollten
seinen Ohren nicht trauen, als er anfing, diesen Fehler mit Mühe zu
kultivieren. Kantig und schroff präsentierte er sich, völlig
lieblos und starr. Die weichen Töne aber, die der Virtuose
beimischte, verfehlten ihren Zweck nicht. Es wäre seiner Anstrengung
nicht angemessen, zu sagen, nach kurzer Zeit hätten sich Erfolge
eingestellt, aber als er einmal den rechten Dreh gefunden hatte, gab es kein
Halten mehr. Die tonale Komplexität explodierte förmlich und es war
ihm schwer, allen Entwicklungen gerecht zu werden. Ein Instrument
allein genügte nur, um die glänzensten Tonfolgen weiterhin zu
betrachten – diejenigen, die sich überlebt hatten, ließ er im
guten Gewissen, dass sie ihren Zweck erfüllt hatten, aussterben. Das
Publikum störte sich daran nicht, viel zu sehr war es auf die immer
ausgefeilteren Geschöpfe fixiert, die sich in ihren Ohren
manifestierten. Der Applaus, der sich dabei einstellte, war
ohrenbetäubend, man begann sogar, mit den Füßen zu stampfen –
und dann musste der Virtuose plötzlich niesen. Sein Instrument glitt
ihm beinahe aus der Hand – dem Publikum verschlug es den Atem –
und er rettete sich mit einigen kleinen Melodien, die er sich für
solch einen Moment aufgespart hatte. Sie waren nichts im Vergleich zu
der vorherigen Pracht, doch genügsam. So konnte er sich sammeln und
zur allgemeinen Freude das Spiel wieder aufnehmen. Die alten Töne
hatte er vergessen, man könnte sie in den Aufzeichnungen nachlesen –
nun galt es, die verbliebene Idee zu vollem Glanz anwachsen zu
lassen, denn seine Zeit neigte sich dem Ende zu, es war kurz vor
Zwölf. Das Finale freilich musste er nicht allein absolvieren. Auf
sein Zeichen hin liefen seine beiden Kinder – noch jung, aber dem
Talent nach nicht am falschen Ort – auf die Bühne und spielten
freudig verschiedene Melodien weiter, die er ihnen zur Auswahl
vorlegte. Dies war nicht immerzu hochwertig – was sollte man auch
erwarten? –, aber durchaus nett anzusehen, zumal der Virtuose im
Hintergrund die Ordnung aufrecht erhielt. Die Fehler der beiden waren
dabei von einer völlig anderen Qualität, so übereifrig und
erfrischend. Mit genügend Zeit würden sie denen ihres Vaters in
nichts mehr nachstehen oder diese sogar übertreffen. Die genaue Art
der Zukunft war jedoch nicht mehr Bestandteil dieser Vorführung über
das Gestern der Welt bis zur Hochzeit der menschlichen Rasse – und
daher fiel der Vorhang.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen