Montag, 23. März 2015

Sie schauen sich an

Welche Ausgänge sind möglich, wenn zwei Personen beisammen stehen? Man kann nicht das exakte Ergebnis vorhersagen, das ist klar, aber doch drei Möglichkeiten klassifizieren: Beide wollen nicht mehr voneinander als Freundschaft; der eine möchte weit mehr als der andere; beide sind sich in ihrem romantischen Sinnen einig. Dabei ist die zweite Variante nicht symmetrisch, weswegen der Vollständigkeit halber zwei Möglichkeiten betrachtet werden müssen.

Um weitere Unterfälle in der folgenden Klassifikation zu vermeiden, war es nützlich, neue Personalpronomen der dritten Person Singular einzuführen, die nicht mehr geschlechtsspezifisch, aber unterscheidbar sind. Um – ganz entgegen meiner Art – Verwirrung vorzubeugen, sei hier eine Übersicht gegeben:


Nominativ er sie es se rei
Genitiv seiner ihrer seiner reser hiener
Dativ ihm ihr ihn sem reim
Akkusativ ihn sie es sen rein

Nun aber zu den gesammelten Kleinigkeiten im Spiel der Möglichkeiten.

November 2013


I Sie schauen sich an …


… und beide denken, etwas im Auge des anderen schimmern zu sehen, ein Stück der Seele, der geheimen Wünsche.
»Es wäre gut möglich«, denkt rei sich, »dass se mehr in mir sieht als lediglich einen Freund.«
Se setzt hiene Gedanken fort: »Schließlich verbringen wir viel Zeit miteinander, haben einiges zu lachen und … es fühlt sich einfach gut an.«
»Doch!«, und das denken sie gemeinsam, »das ist alles.«


Eine Woche sehen sie sich nicht, dann zufällig auf dem Weihnachtsmarkt; jeweils in Begleitung einer anderen Person. Unsicher schauen sie sich an, dann greifen sie gleichzeitig die Hand ihres nebenstehenden Partners – und lächeln erleichtert.




IIa Sie schauen sich an …


… und rei lässt hienen Blick sprunghaft über rese glückliche Mimik huschen: leuchtende Augen, ein seliges Grinsen, eine Stirn ganz ohne Falten.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, fällt aus reim heraus, gefolgt von einer Ausrede, nach der rei verschwindet.
Se freilig bemerkt nichts, sondern interpretiert alles zurecht: Wenn rei sich nicht meldet, ist rei beschäftigt, wenn rei ausnahmsweise eine gute Nacht wünscht, geschieht dies von Herzen, und wenn rei vom Spaß mit anderen berichtet, so meint rei sen.
So verwundert es nicht, dass se eines Tages mit frohestem Sinne zu reim läuft und von einem Deus ex Machina getötet wird.




IIb Sie schauen sich an …


… und rei beschließt, hiene Gefühle nicht länger verbergen zu können. Dies ist hien Moment!
Der Kuss geschieht spontan, hiene Erklärung ist vorbereitet und folgt prompt:
  1. »Der Mensch ist ein soziales Wesen, selbst Introvertierte wie du brauchen einen Partner. 
  2. Wir verstehen uns, du gehst mit mir kein großes Risiko ein. 
  3. Durch gemeinsames Kochen können wir unsere Gesamtkosten senken. 
  4. Eine Beziehung nimmt dir keine kostbare Zeit, denn durch gesteigertes Wohlbefinden wirst du leistungsfähiger.«
Se nickt. »Das klingt durchdacht und ich gebe dir völlig recht.«
»Also lassen wir es auf einen Versuch ankommen?«
»Das wäre zwar schön, aber nein. So funktionieren Gefühle nicht.«




III Sie schauen sich an …


… und verharren kurze Zeit. »Es wäre doch schön«, denken sie, »wenn wir uns öfter in die Augen sehen könnten«, und dann überkommen sie Zweifel.
Wie soll se rein einschätzen? So viele Variablen! Könnte rei nicht die Initiative ergreifen? Se selbst hat doch genügend Anzeichen reser Zuneigung gegeben.
Rei hienerseits kennt mindestens zwei Geschichten, in denen unbedachtes Handeln in die Hose ging. Würde rei nur flirten, wäre es ganz unproblematisch: ginge es schief, wäre es egal. Für solche Spielchen allerdings ist se zu wichtig.
So grübeln beide, sagen nichts und blicken sich in die Augen. Drei Sekunden, zwei Minuten, eine Ewigkeit.

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