Dies ist ein Dialog über die Liebe, in den ich einen wohlbekannten Witz und einige aktuelle Gedanken eingebaut habe – mehr nicht.
Dezember 2013
Die Wahl der Qual
Im Jahre 2023 könnte sich das folgende Gespräch zutragen, an welchem
Frau Jen June Equal, ihres Zeichens unter anderem freiberufliche
Journalistin, und Herr Loki Escherichia Nox, Mathematiker, teilnehmen.
Das Ziel des kompetenten wie auch adretten Weibchens wird es sein, dem
recht eigenwilligen Männchen ein paar Worte über seine Gedanken zur
Liebeswelt zu entlocken, um in ihrem Bericht über die Lebenswelt dieser
verschrobenen Akademiker möglichst viele Aspekte zu betrachten.
Fr. Equal: »Einen schönen guten Tag, Herr Nox.«
Hr. Nox nickt ihr stumm zu.
Fr. Equal: »Also gut, vertrödeln wir keine Zeit mit sozialen Konventionen. Was hält ein Mathematiker von der Liebe?«
Hr. Nox: »Die Liebe, sagen Sie? Oh, da müssen wir erst einmal
definieren, um was es sich bei der Liebe handelt, gute Frau. Man kann
doch nichts besprechen, was man nicht kennt. Darüber freilich streiten
sich die Philosophen schon Jahrtausende – was ist Liebe, was ist
Liebschaft, was ist Liebelei? Wir könnten uns darauf einigen, dass Liebe
etwas mit Vertrauen und Geborgenheit zu tun hat, und Verliebtheit mit
blödsinniger Hormongefolgschaft, aber auch auf etwas ganz anderes. Doch
selbst, wenn wir uns im Klaren wären, worüber wir sprechen, wäre es doch
immer noch fraglich, wie dieses Ding namens Liebe eingeschätzt werden
sollte. Man müsste sich eine Skala überlegen, verschiedene Faktoren,
geeignete Annahmen und Mittellungen, und am Ende wäre das Ergebnis doch
noch recht weit von objektiver Allgemeingültigkeit entfernt. Damit ist
die Liebe, aus mathematischer Sicht, ein hochkomplexes Mysterium, das
nur in einfachen, recht weltfremden Spezialfällen verstanden ist.«
Fr. Equal: »Ich sehe schon, wir haben es mit einem großen Problem zu tun.«
Hr. Nox: »In der Tat, junge Frau. Zumal zur Liebe der Regel nach
auch zwei Personen gehören, womit wir den Bereich der reinen Vernunft
ver- und uns auf Spekulationen einlassen müssen. Sie kennen gewiss das
Problem des einseitigen Verlangens, welches unter Umständen ein
beidseitiges ist. Dem Verliebten stellt sich in diesem Moment die Frage,
was wohl der Geliebte denken mag – mathematisch haben wir es mit einem
Wahrscheinlichkeitsmodell zu tun. Jedem möglichen Zustand der Welt,
beispielsweise ›Sie nutzt mich zur Zeit nur aus, aber in zwei Wochen
werde ich sie von mir überzeugt haben‹
oder ›Er liebt mich ebenfalls,
aber schon morgen wird er wieder mit seiner Ex zusammen sein, weil er
denkt, bei mir keine Chance zu haben‹ wird eine Wahrscheinlichkeit
zugeordnet, die mit jeder Aktion des anderen und auch mit jedem Gedanken
eines selbst verändert wird, woraufhin die eigenen Handlungen dem
Erwartungswert gemäß angepasst werden.«
Fr. Equal: »Dann lassen Sie mich das Problem auf eine einfache
Frage zurückführen: Ist es für Sie als Mann besser, eine Frau zu haben
oder eine Geliebte?«
An diesem Punkt teilt sich das zukünftige Gespräch in drei
verschieden-wahrscheinliche Szenarien auf, denen ihrer
Wahrscheinlichkeit gemäß Rechnung getragen werden soll.
Hr. Nox, der Statistiker: »Studien gemäß erhöht sich die
Lebenserwartung eines Mannes mit der Heirat um ganze zwei Jahre, eine
Frau ist also einer Geliebten vorzuziehen und, wenn mir diese Anmerkung
gestattet ist, diese Frau sollte nicht betrogen werden, da das in jungen
Jahren so anregende Abenteuer des Seitensprungs im Alter recht oft zu
einer Herzinsuffizienz führt.«
Hr. Nox, der anwendende Mathematiker: »Es wäre mir recht, mein
Glück nicht dem klassischen Sinn gemäß mit nur einer einzigen Frau oder
gar nur einer einzigen Geliebten zu suchen. Dieses Modell ist weitgehend
verstanden und eine normative Standardannahme. Um diverse Voraussagen
zu überprüfen, auch was die Diversität der erzeugten Gene angeht, sollte
man nicht unter zehn Geliebten die Freude bereiten. Mein verehrter
Kollege Nox aus der Paralleldimension wird mir zustimmen, dass diese
Zahl dem statistischen Mittel an Partnerinnen entspricht, sodass wir uns ohne moralische
Gewissensbisse der Forschung widmen können. Leider war es mir bisher
nicht vergönnt, eine Dame zu finden, die diesen Gedanken mit mir teilt.«
Hr. Nox, der reine Mathematiker: »Zu dieser Frage möchte ich
gerne ein Theorem formulieren, welches vollständig klären wird, wieso
ich die folgenden Voraussetzungen als optimal erachte:
- Mir ist eine Frau zur Seite gestellt,
- zudem verfüge ich über eine Geliebte,
- wobei beide diese Subjekte der meinigen Gattung zugeordnet sind,
- während die Frau ohne Groll von der Geliebten weiß,
- und die Geliebte gleichsam von der Frau;
wobei zugegeben die Eigenschaften (3) und darauf aufbauend der nicht
vorhandene Groll sehr einschränkend sind. Sei dies jedoch gegeben, so
lässt sich folgender Beweis führen: Wenn die nach (1) existierende Frau
denkt, ich sei bei der nach (2) existierenden Geliebten, was ohne
Zweifel möglich ist, da sie nach (4) von ihr weiß, und wenn zugleich die
nach (2) existierende Geliebte denkt, ich sei bei der wiederum nach (1)
existierenden Frau, was ein nach (5) plausibler Gedanke ist, und wenn
beide gemäß (4) und (5) nicht damit beschäftigt sind, mir nachzustellen,
so kann ich ihre Annahme leicht falsifizieren, indem ich mich weder bei
der nämlichen Frau noch bei der nämlichen Geliebten aufhalte, sondern
mich abgeschieden der mathematischen Forschung widme, welche, wenn wir
schließlich nochmals (3) betrachten, weder die Frau noch die Geliebte ist,
deren Abwesenheit ich mir gewitzt erschlichen habe.«
Fr. Equal: »Zusammenfassend lässt sich also sagen, wenn es auch
mir erlaubt ist, Bezug auf verschiedene Universen zu nehmen, dass Frauen
von einem Mathematiker lediglich zur Lebensverlängerung genutzt, für
Experimente missbraucht oder schändlich allein gelassen werden, es für
sie demnach nicht von Wert ist, sich auf einen Mathematiker
einzulassen?«
Hr. Nox: »Dies scheint mir doch eine recht starke Verallgemeinerung zu sein, die den eben geäußerten feinen Witz völlig verkennt. Es ist vielmehr so, dass es ein Weibchen mit einem männlichen Mathematiker recht gemütlich haben kann, und das aus zumindest drei Gründen:
i) Wenn immer es zu einem Streit, der für sich genommen schon sehr unwahrscheinlich ist, da einem Mathematiker nicht nach Streiten, sondern nach Argumentieren der Sinn steht, kommen sollte, muss sie nur eine von zwei möglichen Alternativen anwenden, um sofort für Ruhe zu sorgen: Entweder, sie liefert ein Argument, dem er nicht widersprechen kann, oder sie fragt ihn, ob er denn beweisen könne, ob der Umfang eines den Einheitskreis umschreibenden regelmäßigen n-Ecks für n nach unendlich auch wirklich gegen den doppelten Wert der Kreiszahl strebt. Dem wird er sich nicht entziehen können.
ii) Ein Mathematiker ist es gewohnt, sich stunden-, tage-, gar wochenlang mit dem Beweis einer Aussage zu beschäftigen, die dem Rest der Welt entweder gleichgültig oder als trivial stimmig bekannt ist, und das nicht etwa, weil das für ihn von besonderem Nutzen wäre, sondern nur, weil es ihn interessiert. Dies bedeutet, dass er sich ohne Murren daran setzen wird, ein Projekt umzusetzen, von dessen Interesse ihn seine Frau überzeugt hat, sei es die Frage nach der optimalen Ordnung in der Küche, die Herausforderung, ein romantisches Picknick am Strand zu organisieren, oder die Vermutung, er könne gewiss nicht eine halbe Stunde lang massieren, ohne dabei anzufangen, auf ihrem Rücken Zahlen oder andere mathematische Symbole zu zeichnen.
iii) Mathematiker beschäftigen sich nur mit Dingen, die sie auch wirklich interessieren, das aber mit aller Hin-, ja bis zur völligen Selbstaufgabe. Dabei interessieren sie sich nur für Probleme, die sie noch nicht gelöst haben, wobei eine zumindest theoretische Lösung schon vollkommen ausrechend ist, oft auch nur das Wissen, dass eine Lösung existiert. Was nun aber könnte unlösbarer sein als die Frage, wie man einen geliebten, zudem weiblichen Menschen glücklich macht? Da es unbestreitbar schwerer ist, den Beweis der Nichtexistenz einer Lösung zu führen als ein Beispiel anzugeben, wie dies möglich ist, wird sich der Mathematiker, sobald er sich einmal die Liebe eingestanden hat, daran machen, mit allem Eifer einer Algorithmus auszutüfteln, der die Frau an seiner Seite fast-sicher zum Lächeln bringt.«
Fr. Equal: »Ich danke Ihnen für das Gespräch und verabschiede mich mit einem fröhlichen 1 + 1 = 0.«
Anm. d. Red.: Es folgte nicht etwa ein wütender Aufschrei,
sondern eine ausführliche Darlegung, in welchen mathematischen Systemen
die Gleichung 1 + 1 = 0 ihre Richtigkeit hat und was alles daraus folgt,
wenn sie gilt oder nicht gilt. Da wir das Interview mündlich geführt
haben, sehen wir uns leider nicht in der Lage, all die mathematischen
Fachtermina und Symbole korrekt abzudrucken. Wir haben versucht, dem
Redeschwall in halber Geschwindigkeit auf den Zahn zu fühlen, doch es
dreht sich uns immer noch der Kopf.
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