Dienstag, 24. März 2015

3C

In der Liebe geht es, wie sollte es anders sein, um Gefühle, nicht um die Ratio. Wer hat das behauptet, wer hat es bewiesen? Und wieso glaubt man dennoch daran? Was wäre, wenn man nicht auf den Bauch hören, nicht die ersten Tage entscheiden lassen würde, sondern einen längeren Test abhalten würde, um das Mögliche zu erkennen? Und was wäre, wenn man dazu gezwungen wäre?

Ein Text über diese Frage. Einfach so. Als hätte ich Hintergedanken.

September 2013


3C

Nehmt sechs Wissenschaftler (männlich: A, B, C; weiblich: 1, 2, 3) und erstellt eine Analyse. Wie gut passen sie zusammen, als Paar? Verrechnet dazu alle greifbaren Daten der Personen und aus der Statistik. Alles. Ihr könnt das. – Das Ergebnis sieht so aus:




A
B
C
1
87
91
72
2
89
86
79
3
72
78
65


Nun berechnet, welche Kombination den größten Nutzen bringt; addiert einfach für jede der sechs Möglichkeiten die Werte auf, oder bildet die Mittelwerte, das ist egal. Fertig? Dann ist alles klar: Wenn man keine andere Wahl hat, bilden 1 und B, 2 und A und 3 und C ein Pärchen, auf Einzelschicksale wird keine Rücksicht genommen. So ist das.


Ein abstraktes Gedankenexperiment. Wer benennt schon mit einzelnen Symbolen, wer reduziert schon auf eine solch kleine Population? Wer? Ist das wichtig? Nein, denn es ist geschehen. Just in diesem Augenblick. Präsens.


3: Bringen wir es also hinter uns. Es wird ein grausames Leben, 65 Punkte von mindestens 91 möglichen!
C: Immerhin mehr als zwei Drittel, das kann etwas werden.
3: Oder aber nur 65 Prozent – wenn nicht gar noch weniger, vielleicht waren 1000 zu erreichen.
C: Wie dem auch sei: Wollen wir es nicht genießen?
3: Wie denn genießen? Ein drittklassiger Buchstabe und eine Zahl mit Ecken und Kanten? Das Ergebnis steht fest, es wird grauenhaft.
C: Ist dem so?
3: Das Ergebnis! Wir passen nicht zusammen.
C: Wollen wir uns nicht erst einmal kennen lernen?


Beide sitzen zu Tisch, vor ihnen zwei leere Teller, die rationierten Vorräte wollten sie nicht aufbrauchen. Romantisch ist es nicht, um sie herum stehen surrende Maschinen und zeichnen auf, es ist stickig und eng – ihren Ort könnte man als Abstellkammer bezeichnen. Die anderen vier sollen nichts bemerken, hatte 3 gemeint.


Ein netter Gruß fällt gleich zu Anfang, dann folgt für lange Zeit kein Wort. Welches auch? Sie kennen die Daten, sie brauchen sie nicht zu überprüfen. In manchen Dingen stimmen sie überein, in manchen nicht – und wen kümmert das Wetter? Ein kleiner Witz könnte die Stimmung lösen, doch würde sie nicht lachen. Ihr Humor stimmt nur zu 37 Prozent überein, zu wenig. Er versucht es dennoch:


C: Eine Kugel …
3: ?
C: …


Er versucht es nicht. Es muss eine andere Art geben. Überraschend, unerhofft, neu.


3: Kennst du Stein-Schere-Papier?
C: Natürlich. Ein faires Spiel, aber auch psychologisch beeinflussbar. Nimmt man zuerst den Stein, erhöhen sich die Chanc…
3: Jaja, schon gut. Eine blöde Frage.
C: Ja, du hättest in der Datenbank nachfor…
3: Ja, Mensch!
C: …
3: Ich wollte dir nur vorschlagen, es mit zwei Händen zu spielen.
C: Für jeden Spieler?
3: Genau! Eine untere und eine obere Hand, und dazu eine vierte Figur mit Stärken und Schwächen und einer neutralen Gegnerschaft, vielleicht auch eine fünfte, je nachdem, wie wir die Zugreihenfolge klären.
C: Lass es uns testen.


Sie sitzen auf ihrem Bett, gehen im Kopf das Spiel durch und lächeln etwas. Nebenan hören sie 1B und 2A. Diese passen gut zu einander, diese müssen sich nicht quälen, diese sorgen für den Erhalt der Welt. 3 und C jedoch sorgen sich um die 65. Was soll das nur werden? Wenn sie es einfach akzeptieren würden, wäre es leichter. Die Gemeinschaft profitiert, und sie beide leisten ihren Anteil. Was nicht passt, das wird passend gemacht, und somit beginnt 3, sich zu entkleiden.


C: Was tust du denn? Soll ich das Zimmer verlassen?
3: Nein, bleib hier.
C: Ich kann auch das Licht löschen, wenn du magst.
3: Ja, das wäre gut.
C: Doch wieso …
3: Rede nicht so viel. Es muss doch sein.
C: Wir kennen uns doch gar nicht.
3: Wenn wir warten, steigen die Risiken. Nimm es hin.
C: Willst du das denn wirklich?
3: Es ist nur logisch.
C: Natürlich. Aber mein Gefühl spricht dagegen.
3: Meines auch. Doch dafür ist es zu spät.


Daraufhin verlässt C das Bett. Er geht durch den Raum, er geht durch den Flur, weiter durch den langen Gang und in sein Labor, das er hinter sich abschließt. Dann setzt er sich an seinen Schreibtisch und erstellt ein neues Dokument, welches er sogleich mit 3 teilt. Sie beide gehören zusammen, das hatte das Schicksal bestimmt, indem es festen Regeln folgte. Das Herz jedoch kann es nicht beeinflussen, das ist nur ihnen selbst möglich.


Die gesamte Nacht sitzen sie über den Zeichen, verschieben und ordnen, gewichten und verbinden sie, bis sie ihr Werk vollendet haben. Es trägt den Titel »73 Schritte«, so viele hatte C insgesamt zurückgelegt, diese Zahl war so gut wie jede andere auch.


Ein jeder Schritt würde eine Hürde einreißen, die zwischen ihnen stand, und sie etwas näher zusammenbringen. Es war nicht vorgesehen, diese in einer strengen Reihenfolge abzuarbeiten, es gab Abzweigungen und Ansammlungen. Am Ende, wenn sie jeden Schritt gemeistert hätten, würden sie jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit das fühlen, was sie fühlen mussten und auch fühlen wollten.


3: Wird das funktionieren?
C: Wir glauben fest daran.

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